#22 Alenuro, der Schmetterling

24. Juni 2010 at 20:06 (Kurzgeschichten, Kurzgeschichten - Liebe, Kurzgeschichten - Märchen, Kurzgeschichten - nachdenklich, Kurzgeschichten - traurig) (, , , , , , , , )

Der blau-violette Schmetterling mit der hübschen weißen Zeichnung nahm auf seiner linken Brust Platz, direkt über seinem müde pochenden Herzen.
„Sag ihr, dass ich sie liebe!“, trug er dem anmutigen Insekt auf. Der Schmetterling flatterte zwei Mal langsam mit seinen Flügeln, bevor er sich in die Lüfte erhob und sich auf einer warmen Strömung westwärts treiben ließ. Er hatte seinen Auftrag verstanden.

Für Alenuro war es nicht das erste Mal, dass er eine so wichtige Botschaft zu überbringen hatte. Doch ein Schmetterling zu sein, hieß eben nicht, den ganzen Tag über fröhlich von Blüte zu Blüte zu flattern und überall etwas Nektar zu saugen. Ein Schmetterling zu sein war in Tagen wie diesen ein harter Job.

Der Anblick, der sich Alenuro bei seiner Reise Richtung Westen bot, war kein schöner. Das Land war verwüstet, zerklüftet von Kratern und noch immer stiegen hier und da Rauchwolken von orange züngelnden Flammenmeeren auf. Der blau-violette Schmetterling musste sich immer wieder über die Menschen wundern. Sie führten Kriege und machten alles kaputt, sie rissen ihre eigenen Herzen entzwei und für was? Macht, Ländereien, Geld… Alenuro war froh, dass diese Dinge in seiner Welt nichts wert waren.

Er flatterte nun so schnell, wie ihn seine Flügel trugen, er spürte, wohin er musste. Meilenweit musste er fliegen, bis er das sichere Plätzchen erreichte, bei dem er seine Nachricht abliefern sollte. Das kleine Bauernhaus schmiegte sich eng an den Waldrand, friedlich grasten ein paar Schafe auf der umzäunten Weide, die gleich an das Häuschen anschloss. Alenuro setzte zum Landeanflug an. Ein in der leichten Brise schaukelnder Grashalm wurde sein Sitzplatz.

„Ahnt sie es schon?“, fragte er den Schafbock, der ihn unter dem Grasen von der Seite beäugte. Dieser nickte schwer. „Sie weint schon seit Stunden, sie hat es gespürt.“
Der Schmetterling seufzte und erhob sich von seinem grünen Rastplatz. Das Küchenfenster stand offen, wahrscheinlich hatte Sualita schon auf ihn gewartet. Sie saß am Küchentisch, die Hände gefaltet, sie weinte nicht mehr. Vorsichtig trippelte Alenuro über den dunklen Holztisch auf sie zu, um die stumm in die Ferne starrende Frau nicht zu erschrecken. Dicht vor ihr hielt er an, bewegte zwei Mal die Flügel auf und ab, ehe er sich wieder auf den Weg machte. Er hörte sie ein letztes Mal laut aufschluchzen, bevor er den Hof verließ.

„Kümmert euch um sie, solange ich fort bin!“, rief er den Schafen zu. Er musste nun Trost suchen, für die verzweifelte Frau, und wusste auch, wo dieser zu finden war – schließlich war das seine Aufgabe, als Schmetterling in diesen Zeiten.

3 Kommentare

  1. bennopb said,

    Eine sehr schöne traurige Geschichte! Dankeschön.

  2. Kornelia said,

    Da ist ja einiges dazugekommen seit ich das letzte Mal geschaut habe.
    Besonders die letzten 4 Geschichten finde ich sehr schön, aber so traurig. Aber ich konnte so schön in die Welten eintauchen beim Lesen!! Vor allem in diese, mit dem Schmetterling!!
    Weiter so!!!

    Bussi 🙂

  3. loveanddeathandeverythinginbetween said,

    Hey,
    danke euch fürs Kommentieren! Und vor allem fürs fleißige Lesen, Kornelia =) Freut mich, wenn die Geschichten gefallen, auch wenn sie eher traurig sind.

    Liebe Grüße an bennopb,
    Bussi an Kornelia und schönes Wochenende!

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